Monatsspruch August 2022

Jubeln sollen die Bäume des Waldes vor dem HERRN, denn er kommt, um die Erde zu richten. (1. Chronik 16,33 ≈ Psalm 96,13)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Gebete und Lieder stehen im Gesangbuch, im evangelischen 652 Lieder und viele Gebete. Ein großer Schatz, der sich in Hunderten von Jahren angesammelt hat und den man allein nicht heben kann, denn es sind ja nicht nur Worte, sondern auch Melodien. Lieder sind zum Singen da und nicht bloß zum Hören. Singen befreit die Seele und gemeinsames Singen verbindet. Ich singe heute noch gern, auch wenn ich beim Hören keine Melodien mehr erkennen kann.

Die ältesten Gebete und Lieder stehen in der Bibel, das sind die Psalmen, 150 Stück, das ist eine ganze Menge. Aber nicht nur in den Psalmen, auch in erzählenden Texten. Da steht, was Menschen in Freud und Leid gebetet haben, als Gebetsvorlagen für uns. Und manchmal finden sich Psalmen auch in Erzählungen, wie in unserm Monatsspruch, der aus Psalm 96 stammt. Nach der Erzählung war das ein Lied, das gesungen wurde, als die Bundeslade, ein tragbares Heiligtum in Jerusalem aufgestellt wurde, vor über 3000 Jahren.

"Was soll denn der alte Quatsch?", wirst du vielleicht denken, und: "Die Bäume sollen jubeln" - die haben doch keine Stimme - und nichts zu sagen. Und "Gott kommt um die Erde zu richten" - du machst den Kindern bloß Angst (hab ich selbst gehört). Gott richtet nicht, sondern ist gnädig und vergibt.

Jetzt schlägt's aber 13! Ich kann mich noch an den 2. Weltkrieg erinnern, das brennende Darmstadt, mein Elternhaus ohne Dach, überall zerstörte Häuser. Und jede Menge Tote. Die alten Leute, auch die Pfarrer sagten: Das war die gerechte Strafe für die Verbrechen der Nazis - die wir gewählt hatten.

"Die Bäume sollen jubeln", das lese ich heute mit anderen Augen. Denn Jahrtausende hat der Mensch bedenkenlos Wälder abgeholzt. Bei uns fing man vor 200 Jahren an wieder aufzuforsten und die Wälder zu schützen. Und trotzdem nehmen auch wir keine Rücksicht. Wälder mussten Wohn- und Industriegebieten weichen. Für die Bäume sind wir das schlimmste Ungeziefer.

Wenn wir mal weg wären, könnten sie vielleicht jubeln, so wie wir jubelten, als Ostdeutschland endlich frei wurde. Aber sie werden sich umgucken, so wie wir heute entsetzt zugucken müssen, was in Osteuropa geschieht. Wassermangel, Stürme und Waldbrände wird es weiterhin geben. Und der Borkenkäfer wird auch jubeln, wenn seine menschlichen Feinde weg sind. Und sich dumm umgucken, wenn's keine Bäume mehr gibt.

Siehste, so geht das nicht! "Der HERR kommt um die Erde zu richten", nicht indem er alles kurz und klein schlägt, sondern indem er Recht schafft und das Gleichgewicht wiederherstellt. Mutter Natur ist herzlos. Sie weint keiner Birke und keinem Borkenkäfer einen Regentropfen nach. Und dir und mir auch nicht.

Und Gott ist auch herzlos und kopflos. Er hat weder Herz noch Hirn, sondern ist das, was in Herz und Hirn hineingehört: Liebe und Geist.

Erkenn deinen Platz im Universum: Wir sind keine Galaxien, weder Sterne noch Stars, sondern nur unbedeutende Sandkörnchen oder Wassertröpfchen. Und doch funkelt auch das kleinste Tröpfchen im Sonnenlicht.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner