Als Edwin Suckut 1976 als Dekanatsjugendwart im Dekanat Reinheim angestellt war, begann er sogleich Freizeiten zu organisieren. Zunächst arbeiteten wir ja mit dem Dekanat Groß-Umstadt zusammen. Geplant war eine Jugendfreizeit in Norwegen. Von Seiten des Dekanatsjugendpfarrers in Groß-Umstadt hagelte es Einwände: "Das Unternehmen ist zu riskant. Wer zahlt, wenn nicht genug mitfahren? Was ist, wenn…?" So kann man doch nicht zusammenarbeiten. Wir machten uns selbständig. Die Freizeit fand statt. Es gab keine Probleme - außer dass man zu viel Butter eingekauft hatte. Die lagerte dann in Georgenhausen im Gemeindehauskeller, bis jemand auf die Idee kam, damit könnte man doch mit der Jungschar Plätzchen backen. Die Plätzchen waren leider ungenießbar. Denn die norwegische Butter ist gesalzen, das hatte keiner bedacht.
Es folgten weitere Fahrten, auch Kinderfreizeiten in Ober-Weimar bei Marburg. Und damit fing das an, was ich erzählen möchte. Ab 1980 war ich selbst aktiv dabei, zuerst bei einer Wochenendfreizeit in Lindenfels und dann beim Zeltlager mit Reiten in Kernbach bei Marburg. Wir waren lauter hochkarätige Mitarbeiter, aus denen später was geworden ist: als Betreuer Edwin Suckut, späterer Gründer und erster 1. Vorsitzender des CVJM - Dieter Stab, damals Dekanatsjugendwart im Dekanat Goddelau, jetzt noch Dekanatsjugendreferent im Dekanat Reinheim - Sabine Sauerwein, jetzt Pfarrerin in Lampertheim - meine Wenigkeit, damals Dekanatsjugendpfarrer und Gemeindepfarrer in Georgenhausen-Zeilhard, jetzt Rentner. In der Küche: Carola Stab, Erzieherin, und Ingrid Tischner, Pfarrfrau und später bewährte Jungschar- und Freizeit-Mitarbeiterin. Mit so vielen qualifizierten Leuten musste die Freizeit ja gelingen. Tat sie auch: Das Essen war ausgezeichnet. Das Wetter war bis auf einen Wolkenbruch passabel. Sogar die Pferde waren fromm. Unser Programm zu den Davidsgeschichten ließ sich aber nicht so durchziehen, wie wir's geplant hatten, weil das ja eine Zelt- und Reitfreizeit war und der Zeltbetrieb und das Reiten so viel Zeit in Anspruch nahm, dass wir kaum zum Thema kamen.
Nun gut, man macht seine Erfahrungen. Nie mehr zelten! 1981 fuhren wir dann für 3 Wochen mit etwa 60 Kindern ins Paul-Schneider-Heim Dornholzhausen bei Butzbach. Nur ein Hauptamtlicher als Betreuer, der Rest junge Leute. Wir ließen uns von dem Küchenpersonal des Heims verwöhnen. Das konnte man ja damals noch bezahlen. Das Thema Elija kam an. Vier australische Kinder, zwei weiße und zwei schwarze, animierten die Kinder Känguru zu spielen und Englisch zu lernen (obwohl die Australier doch deutsch lernen sollten). Der heiße Sommer bot viele Gelegenheiten zu Wasserschlachten. Wir fanden im Wald amerikanische Munition und meldeten das der Polizei. Die lud uns ein zur Besichtigung des Polizeipräsidiums in Wetzlar… Drei Wochen mit 60 Kindern - es ging gut und wir Betreuer merkten erst daheim, wie erschöpft wir waren.
In Dornholzhausen hat's mir so gefallen, dass ich künftig nur noch dort Freizeiten machte. Wir blieben auch dabei, jede Freizeit unter ein Thema zu stellen. Ritter oder Wikinger spielen kann jeder. Wir nahmen meist biblische Themen. Anregungen gab uns die Mitarbeiterhilfe des CVJM "Der Jungscharleiter". Bald fanden wir auch einen festen Stamm von Mitarbeitern aus den eigenen Reihen, die sich alle sehr engagierten. Keiner wäre auf die Idee gekommen, man müsse sich abends mit Alkohol entspannen. Im Gegenteil, wir machten unser Abendprogramm, schickten die Kinder ins Bett, dann gab's Gute-Nacht-Geschichten in jedem Zimmer und zwischen elf und halb eins saßen wir Betreuer mit hängenden Lidern in der "Turmstube" und diskutierten das Programm für den nächsten Tag. Anstrengend ja, aber vor allem harmonisch und schön.
Zu dem bewährten Programm gehören bis heute Zimmerkontrollen und Aufstufungen. Das fing alles mehr zufällig an: Wenn mehrere Kinder in einem Zimmer sind, herrscht meist eine entsetzliche Unordnung. Das lässt sich auf die Dauer nicht ertragen. Also hängte ich an die ordentlicheren Zimmer handgezeichnete "Pussykatzen", an die unordentlichen handgezeichnete "Wildsäue". Die Katzen waren überaus begehrt und die Ordnung in den Zimmern besserte sich zusehends.
Auf einer späteren Freizeit kam ich zufällig auf die Idee, eine besonders gescheite Teilnehmerin zum "Doktor" zu promovieren. Schnell hatten wir ein System entwickelt, wie man für besondere Verdienste "geadelt" werden konnte, und krönten am Ende der Freizeit schließlich "Ihre Majestät", die Kaiserin. Später haben wir dieses System weiter ausgebaut und dem jeweiligen Thema angepasst. Viele Kinder bemühten sich um höhere Ränge, aber zum "Unmenschen" wollte keiner abgestuft werden. Manchmal überschlugen sie sich regelrecht darin, Aufgaben zu übernehmen, wie Papierkörbe leeren, Müll sortieren oder zusätzlichen Küchendienst machen.
1982 und 83 machte das Dekanat wieder eigene Kinderfreizeiten in Südtirol und Neckarzimmern. Dann raffte ich mich 1984 auf für die ägyptische Josef-Freizeit in Dornholzhausen, dieses Mal noch als Dekanats-Freizeit. Ab 1985 liefen die Ferienmaßnahmen unter Regie des CVJM:
1985 Dornholzhausen "Petrus"
1987 Dornholzhausen "Paulus in Ephesus"
1988 Dornholzhausen "Jesus"
1989 Dornholzhausen "Weltkinderkonferenz"
1990 Dornholzhausen "Mose"
1991 Dornholzhausen "Gefangen in Babylon"
1992 Dornholzhausen "Bonifatius erzählt"
Unsere Mitarbeiter entwickelten tolle Ideen. Wir scheuchten die Kinder unter dem Vorwand aus dem Bett, es sei Sonnenfinsternis. Sie waren gerade erst eingeschlafen und stocksauer. Später waren wir klüger und bereiteten die Nachtwanderung besser vor. Einmal lockten wir sie mit der Behauptung in den Wald, dort sei ein Eismann. Da war auch einer: mein ehemaliger Vikar Arno Kreh, der in der Nähe Pfarrer war.
Für das furchtbar komplizierte Römerbrief-Spiel brauchten wir zwei Jahre, bis es funktioniert hat. Dann aber stand es sogar im "Jungscharleiter" und brachte der CVJM-Kasse ein kleines Honorar ein.
Eine CVJM-Gruppe in der Nachbarschaft "entführte" uns bei einem Tagesausflug ein paar Kinder. Wir trafen uns auf der Münzenburg und zahlten für die Geiseln ein paar Fresspakete als Lösegeld.
Oft kommentierten wir das Tagesgeschehen abends im Fernsehen. Zum Beispiel 1991 "Gefangen in Babylon". Da erlebten wir live, wie die Perser den weltfremden babylonischen König entmachteten, wie widersprüchliche Meldungen eingingen und die neue persische Regierung noch nicht in der Lage war, über das Wetter zu entscheiden: "Die weiteren Aussichten: In den nächsten Tagen gibt's überhaupt kein Wetter."
1990 haben wir die ganze Mosegeschichte verfilmt, ernannten einen Bach nach Bedarf zum Nil und zum Schilfmeer, Kirschen zu Datteln, Hähnchen zu Wachteln, einen Wasser-Hochbehälter zum Berg Sinai. Eindrucksvoll, wie Mose von seiner Berufung erzählte und wie die Teilnehmer am frühen Morgen von einem roten Auto verfolgt wurden, den Schilfmeer-Bach überquerten und gerettet wurden.
1992 machten wir eine Zeitreise ins 7er-Jahrhundert zum Hausmeier Karl Martell und Bischof Bonifatius. Leider wurden wird dort vom "räuberischen und mörderischen Volk der Viren" angegriffen und mit einer Darminfektion geplagt. Der Hausmeier berief alle zu einem "Dinge" unter einem Baum. Dort wurden die Aggressoren zur Prügelstrafe und zum Feuertod verdammt. Die Kinder verhauten ein gemaltes Virus, dessen Überreste anschließend verbrannt wurden. Diese Strafmaßnahme hatte Erfolg: Wir waren bald darauf alle wieder gesund.
Über Langeweile brauchten sich die Kinder also nicht zu beklagen. Sie wurden rund um die Uhr beschäftigt. So sehr, dass sie sich manchmal beschwerten, sie hätten auf dieser "Freizeit" überhaupt keine Freizeit. Ja, warum heißt das überhaupt "Freizeit"? Dass die Kinder 14 Tage unter Aufsicht rumhingen, das war ja nicht gerade das, was wir anstrebten. Was wollten wir überhaupt? Zwei Wochen miteinander in einem christlichen Rahmen leben mit Andachten, Tischgebeten und Bibelarbeit und möglichst viel miteinander machen. Deshalb führten wir ab 1990 den Namen "Feriengemeinschaft" ein, der unsere Ziele besser zum Ausdruck brachte.
Zu jeder dieser Maßnahmen gehörte eine intensive gemeinsame Vorbereitung im Team, Vortreffen und Nachtreffen. Dort wurde seit 1987 als Bericht ein Film gezeigt. Wenn wir am Ende noch Geld übrig hatten, haben wir es beim Nachtreffen verjubelt und daraus eine Wochenendfreizeit mit Übernachtung im Georgenhäuser Gemeindehaus gemacht. Dazu gehörte auch ein von Betreuern und Kindern mitgestalteter Gottesdienst.
1992 wurde ich 50 und merkte so langsam, dass ich nicht mehr die Energie hatte wie früher. Ich hätte ja vielleicht noch weiter gemacht. aber in diesem Jahr gab's Ärger: Eine Familie hatte sich die Teilnahme erschlichen, ohne zu bezahlen. Bisher konnte ich die Maßnahme über die Kirchengemeinde abrechnen, aber nun bekam ich Schwierigkeiten mit dem Kirchenvorstand, der sich weigerte, das Defizit zu übernehmen, und in der Folgezeit in harten Auseinandersetzungen den CVJM aus der Gemeindearbeit hinausdrängte. Aus für mich, aber nicht für den CVJM und erst recht nicht für die Feriengemeinschaften, die auch in den folgenden Jahren regelmäßig durchgeführt wurden. Es ging auch ohne mich. So sollte man eine Arbeit organisieren, dass man nach ein paar Jahren nicht mehr gebraucht wird. Dank des bewährten Mitarbeiterstammes, der sich inzwischen herausgebildet hatte. Und dank unseres obersten Chefs, der das alles hat gelingen lassen und in dessen Namen wir ja die ganze Arbeit getan haben.
Heinrich Tischner